Ich & Italo

Ich habe Italo-Disco 1983 für mich entdeckt. Es ist „meine“ musikalische Antwort auf die hochkommerzialisierte Synthiepop-Perfektion von damals. Was aus den italienischen Studios kommt klingt auffällig anders. Für mich ist es purer „sound of the underground“.

Anspruchslos, schlitzohrig, low budget und zu 100% ehrlich. Italo-Disco ist der markante Gegensatz zu den europäischen, äusserst chartorientierten Major Label-Produktionen. Als junger Musikkonsument gefällt mir dieser Aspekt sehr. Die Leute in meiner Schule hören Mötley Crüe und Modern Talking, ich hingegen biege sofort in Richtung Italo-Disco ab. Letzten Endes entdecke ich dank Italo-Disco die Intensität der elektronischen Tanzmusik und die DJ-Kultur.

Ich erinnere mich gut daran, dass Italo-Disco stets für ein musikalisches Randphänomen gehalten wird: Depeche Mode für Arme und Rückständige – so lauten etwa boshafte Kommentare hinter vorgehaltener Hand. Dass die Italo-Disco-Szene von echten Musikern und erfahrenen Studioproduzenten verkörpert wird, davon nimmt man kaum Notiz.

Italo-Disco wird auch von DJs mitarrangiert und eigens für Clubgänger «entworfen». Die Macher wissen also ganz genau welche Dynamik und welche Atmosphäre auf den Dancefloor wichtig bzw. gefragt sind. Das Harmonieren und die perfekte Abstimmung von Rhythmus und Melodie, sind das Made in Italy-Erfolgsrezept. Zwischen 1983 und 1986 gelingt dies den Italienern europaweit am besten. 

„Wir liebten die italienische Discomusik damals, denn die Gruppen sangen zwar auf Englisch, aber es klang immer etwas falsch.“ Neil Tennant, Pet Shop Boys

Noch kurz zum Thema Giorgio Moroder: Italo-Disco wird stets mit Moroder in Verbindung gebracht. Diese These ist aber meiner Meinung nach falsch. Für mich gibt es da nur marginale Berührungspunkte. Moroder hat 1977 den Electropop erschaffen und ja, er ist Italiener. Seine synthetisch komplexe Musik entsteht  in den klimatisierten Hightech-Studios von München und Los Angeles. Italo-Disco hat hingegen eine ganz andere Nabelschnur: Die britische New Wave- und Synthiepop-Bewegung!

In der DNA von Italo-Disco befindet sich eine reine Working Class-Kultur. Da steckt viel Stadtrand und wenig Glamour drin.

Text: Bruno Gullo
© XENONMUSIC

Persönliches
Bruno Gullo, 1970 in Basel geboren.

«Ich bin kein DJ, aber ich habe eine DJ-Kultur. Ich sammle Schallplatten diverser Musikgenres seit ich 14 Jahre alt bin. Diese Leidenschaft macht mich zu einem Experten der zahlreiche Hits und eine Vielzahl von weniger bekannten Songs aus drei Dekaden Popmusik besitzt. Zu meinen Vinyl-Favoriten zählen Dancefloor-Klassiker, darunter viele Italo-Disco-Burner wie meine erste Platte von 1984.»

Projekte
2010: Produktion Bildband
2011: Postproduktion (deutsche Fassung) Dokufilm
2013: Veranstalter Ausstellung und Konzertabend Ostquai Basel
2024: Co-Veranstalter Konzertabend Sudhaus Basel